Zum Umgang mit altersverwirrten Menschen
• Wie nimmt der Demente die Umgebung wahr?
Verstärkte Vergesslichkeit
Schlüssel oder andere Gegenstände werden häufiger
als früher verlegt, Fragen wiederholen sich, die
Haustür wird nicht verschlossen, der Herd wird
angelassen.
Orientierungsstörungen
Tag, Monat und Jahr können nicht mehr benannt werden, Monate
und Jahreszeiten können nicht mehr zugeordnet werden, die
Lage früher bekannter Orte wird nicht mehr gewusst, die
Zuordnung von Namen zu Personen geht verloren.
Sprachstörungen
Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden; zu verstehen, was
gemeint ist und sich selbst verständlich zu machen.
Umschreibungen häufen sich.
Gefühlsstörungen
Eine leichte Euphorie, Depressivität und auch
Aggressivität können auftreten. Oft werden diese
Gefühle als ‚Böswilligkeit‘ oder
‚wahre Gefühle‘ verkannt.
Wahnvorstellungen
Kranke können sich bestohlen fühlen, wenn sie
vergessen, wohin sie ihre Gegenstände gelegt haben.
Erhaltene Fassade
Die vorhandenen Fähigkeiten werden genutzt, um die
Beschwerden zu überspielen: die äußere Fassade
ist sehr lange intakt.
Weitere Symptome:
Motorische Unruhe, Umherlaufen, Halluzinationen, Unsicherheit,
Interesselosigkeit, fehlende Organisation von Körperpflege
und Kleidung, Blasen- und Darmentleerungsstörungen,
Persönlichkeitsveränderungen; Appetitlosigkeit
(Essstörungen), Schlafstörungen
(Tag-/Nachtryhthmus)
Aus dem Bericht der Sachverständigenkommission zum 4.Altenbericht der Bundesregierung 2002¹:
Während die Umgebung das
‚Funktionieren‘ Gesunder nur geringfügig
beeinflusst, spielt sie für einen schwer Demenzkranken eine
entscheidende Rolle. Die Kranken verlieren die
Fähigkeit, Signale des Körpers (Hunger, Durst,
Sättigungsgefühl, volle Blase, Überwärmung,
Schmerz usw.) wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Sie
verstehen die Zusammenhänge zwischen den äußeren
Einflussfaktoren und physiologischen sowie psychischen Reaktionen
nicht (z. B. Dunkelheit und Angst, Gestank und
Aggressivität, Hitze und Müdigkeit usw.) und werden
leicht überfordert bzw. gefährden sich durch
Fehlhandlungen. Zum Überleben brauchen sie eine
‚prothetische‘ materielle und soziale Umgebung, die
sich den Fähigkeiten und Defiziten der Kranken anpasst, sie
fördert, ohne zu überfordern und ihnen ein weitgehend
stressfreies Leben mit viel Bewegungsfreiheit sowie
– aus der Sicht des Betroffenen – sinnvolle
Aktivitäten ermöglicht.
Während die materielle Umgebung überwiegend einen
äußeren Rahmen zur Befriedigung physiologischer
Bedürfnisse bietet, ist die soziale Umwelt für eine
gelingende Betreuung Demenzkranker entscheidend. Zu den
ältesten Regungen des Menschen gehört die Angst, wobei
das Gefühl, die Verbindung zur Gruppe bzw. zur Gemeinschaft
zu verlieren, eine vitale Bedrohung darstellt. Viele
Demenzkranke, die keine Gesichter und Räume mehr erkennen
und die Sprache nicht mehr verstehen können, werden mit
dieser Angst konfrontiert. Sie glauben, ausgestoßen oder
verloren zu sein, und suchen verzweifelt Menschen, die ihnen
bekannt vorkommen und Verständnis entgegenbringen.
Die soziale Umgebung soll helfen, das Bedürfniss der Kranken
nach Sicherheit zu befriedigen durch die Anwesenheit ruhiger,
kompetenter Personen und eine zuverlässige Tages- und
Lebensordnung. Die pflegerische Versorgung Demenzkranker wird
erheblich durch die Abweichungen zwischen der Selbstwahrnehmung
der Betroffenen und ihren tatsächlichen Fähigkeiten,
sowie durch eine zunehmende Apraxie mit Unverständnis
für die Absichten und Handlungen Anderer verbunden. Sprache
als Informationsträger wirkt hier eher verwirrend, da bei
den Kranken die Begriffe keine Vorstellungen von entsprechenden
Tätigkeiten induzieren und sie oft am Ende eines Satzes
vergessen, was am Anfang gesagt wurde. Sie brauchen eine
bildhafte Darstellung der Tätigkeit, durch
Körpersprache oder Beobachtung, und Hilfe in Form eines
‚Nachahmungsmodells‘
Gespräche dienen weniger der
Informationsübermittlung, sondern stärken das
Zusammengehörigkeitsgefühl. Wichtiger als der
Inhalt sind die Art, die Gefühlsbetonung und die
begleitende Körpersprache sowie die Fähigkeit dem
Kranken zu signalisieren, dass er verstanden wurde. Es kommt auch
darauf an, für den Demenzkranken verständlich zu
sein. Besonders hilfreich für den Umgang mit Demenzkranken
sind genaue Kenntnisse seiner Lebensgeschichte. Sie helfen auch,
die durch Demenzsymptome zugeschüttete Persönlichkeit
des Kranken, seine Identität zu erkennen und ihn als ein
Individuum zu behandeln. Einfühlsame Sprache verbunden mit
körperlichem Kontakt und Bewegung hilft auch im Umgang mit
ausgeprägten Verhaltensstörungen.
Die Demenzkranken unter sich sind eher imstande,
‚normale‘, entspannte Gespräche zu führen,
weil sie der Melodie der Sprache und dem Klang der Worte folgen,
zu Klangassoziationen neigen, instinktiv ähnlich
antworten und sich während des Gesprächs richtig
verhalten. Das Lächeln und Lachen spielen für den
Gruppenzusammenhalt eine besondere Rolle. Sie haben entspannende,
entwaffnende Funktion, erzeugen das Gefühl der Geborgenheit
und Sicherheit (Eibl-Eibesfeldt 1982) und gehören zu den
wichtigsten therapeutischen Mitteln im Umgang mit Demenzkranken.
Auf Verbote, direkte Aufforderungen oder Befehle reagieren
die Kranken mit Widerstand und Aggressivität. Ein
‚Nein!‘ als Antwort auf eine zufällige Frage ist
doppelt so häufig wie ein ‚Ja!‘, was auf eine
misstrauische Grundhaltung hinweist. Wahrscheinlich gewinnen
für die Kranken bestimmte Inhalte des
Langzeitgedächtnisses Realitätscharakter und
verdrängen die objektive Realität. Die Kranken leben
mit den Erinnerungsbildern einer bestimmten Lebensperiode und
verhalten sich entsprechend.
Alle Versuche, sie aus ihrer Welt in unsere Realität zu
überführen, sei es mithilfe des
Realitäts-Orientierungs-Trainings oder logischer
Erklärungen, führen zu einer Verunsicherung der
Betroffenen und zu aggressiven Reaktionen. Viel sinnvoller ist
eine Begleitung der Demenzkranken auf den Wegen ihrer
Vorstellungen. Die Betreuenden tauchen in die jeweilige Welt des
Kranken ein und versuchen, sich in ihr adäquat zu verhalten.
Die Defizite, Fehlhandlungen, Wiederholungen oder Beschuldigungen
seitens der Kranken werden nicht kommentiert bzw.
zurückgewiesen. Die Betreuenden ‚übersehen‘
sie oder nehmen Schuld auf sich und bitten den Betroffenen um
Unterstützung bei der Problemlösung.
¹Deutscher Bundestag Drucksache 14/8822, 14. Wahlperiode 18.04.2002, Unterrichtung durch die Bundesregierung: ›Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen und Stellungnahme der Bundesregierung‹ : S.173 f